Die unfassbare Kunst – Geschichte und Entwicklung der Musikindustrie am Beispiel der Klassik. Persönliche Standpunkte. Philosophische Aspekte.
von Mag. Andreas Vogl

Prolog – Es war einmal die Musik

„Music must be made popular, not by debasing the art, but by elevating the people.“ Henry Russell Cleveland (1808-1840), US Autor

Ein Rockkonzert, eine Symphonisches Konzert, ein Jazzabend oder gelebte Volksmusik sind herausgehobene Zeitpunkte, von deren imaginären Wert wir häufig noch lange nach der Aufführung geistig zehren, obwohl sie verklungen sind.
Das Konservieren von Musik auf einen Datenträger zählt dabei zur wichtigsten kulturellen Innovation seit Erfindung des Buchdrucks. Hören, jederzeit und allerorts. Sich vorher einstimmen auf ein Musikereignis, es danach noch einmal Revue passieren lassen. 
Die Musikbranche und die damit verbundene Kulturindustrie haben es möglich gemacht.
Soweit so gut. Doch in letzter Zeit hört man oft vom Musikmarkt in der Krise: sinkende Verkaufszahlen bei Tonträgern, der Untergang der Plattenfirmen, die Trendwende zum Stream, die generelle Internetabhängigkeit der Kunstform Musik. 
Was ist los mit der Musikbranche? Ist sie nur einem zeitlichen Wandel unterworfen oder läuft sie Gefahr, sich so in Strukturen festzufahren, dass sie komplett neu definiert und die Verhältnisse zwischen Kunst und Künstler bzw. Produkt und Konsument anders geordnet werden müssen? 

Fest steht, es gibt so viel Musik wie noch nie. Musik ist Alltag, mehr denn je. Wir hören nahezu überall, Musik ist omnipräsent. Und auch die technische Abrufbereit ist mit der Digitalisierung einfacher und schneller geworden. Weder die literarische Kunst und schon gar nicht die bildnerische Kunst befinden sich momentan in einem vergleichbaren Strukturwandel wie das Musik- bzw. Filmgenre. Während das gedruckte Buch als physische Manifestation der Literatur dem Prozess der Entmaterialisierung trotz Digitalisierung (noch) wacker standhält (das analoge, haptische, bedruckte Papier wird noch länger nicht dem rein digitalen Produkt weichen) und Bilder oder Skulpturen (immer noch) vor allem durch ihre materielle Daseinsform kommerziell gewinnbringend sind (Künstler wie Banksy stellen das mittlerweile ja in Frage), haben akustische und bildhafte „Medien“-Kunstwerke zwischenzeitlich einen enormen technischen Wandlungsprozess durchlaufen.
Von den ersten Ton- und Schallplattenaufnahmen bzw. Stummfilmen und Bändern bis zu den Digitalisierungsformen der CD und DVD sind wir momentan, vor allem durch das Medium Internet bei einer vollkommen virtuellen Form der medialen Kunstformen Musik und Film angekommen. Der Datenträger ist eins mit dem Abspielgerät geworden. Platzsparend und leicht abrufbar sind digitale Downloads und Streams dem (haptischen) Besitzdenken der Konsumenten und einer räumlich fassbaren Audiokonserven-Bibliothek gewichen.

Das alles hat natürlich mit dem, nicht immer negativen, technischen Fortschritt zu tun. Was dabei allerdings teilweise auf der Strecke bleibt, sind die Kunst und der Künstler selbst. Die Entwicklung eines gewissen Kulturverlustes, hervorgerufen durch Vereinheitlichung und Masse, will ich in dieser Abhandlung versuchen, zu beschreiben.

„Beliebigkeit nimmt der Musik ihre Magie, mindert auf Dauer ihren Wert.“ ¹

Eine selbstgebrannte CD, ohne passendes Cover oder ausreichende Tracklist, erreicht kaum den persönlichen Wert, den der Erwerb einer Album-Originalausgabe fühlbar gemacht hat. Der schnelle Klick im kostengünstigen Streamingangebot am Computer oder Handy lässt nicht erahnen, wieviel Arbeit oder welches Talent hinter der rasch verfügbaren Musik stecken. Von der Identifikation mit dem Künstler und seiner Musik gar nicht zu sprechen, geschweige denn dem Respekt vor seinem Schaffen.

Im Laufe der mittlerweile über 100jährigen Geschichte der Musikkonserve sind eine Unzahl von Aufnahmen, sei es gezielt im Studio oder unter Live-Bedingungen, entstanden, deren Dokumentation, egal für welches Genre der Musik (Jazz, Klassik, Rock, Ethno, Populärmusik), einen wichtigen kulturwissenschaftlichen und auch geschichtlich-archivarischen Aspekt erfüllt.

Durch die Reproduzierbarkeit und weltweite Distribution der Musik entwickelte sich eine von ökonomischen Gedanken gelenkte Dynamik im Musikmarkt: die Kulturindustrie und mit ihr die Entwicklung des „Mainstream“.

„Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht so völlig unterm Tauschgesetz, dass sie nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, dass man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame.“ ²

Der Mainstream, die Kultur der Masse, lässt sich an keiner anderen Kunstform so gut erkennen wie an der Musik. Durch die Fixierung des zeitlich herausgehobenen und immer einzigartigen Akts der Musik auf ein Medium und deren Reproduzierbarkeit, konnte ein viel größeres Publikum angesprochen werden. Der Mainstream wurde maßgebend für Musikaufnahmen.
Vor allem im Pop-Genre war/ist die Masse Zielgruppe Nummer eins. Dabei wichtig ist aber, dem Konsumenten beim Kauf das Gefühl von Individualität zu vermitteln. Was ALLE hören besitze ICH nun auch – Das Konzert kommt zu mir nach Hause. In der Masse fühlt sich der Einzelne wohl und am stärksten.

1 Tim Renner: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie

2 Horkheimer/Adorno: Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug